«Ein Kokon der Geborgenheit»
AD Magazin, 29.04.2021:
Herzog & de Meuron entwerfen ein Hotel in ihrer Heimatstadt
Lange stand das historische „Volkshaus“ in der Baseler Innenstadt leer. Nun hat im Gebäude ein Hotel samt Bar und Brasserie eröffnet.
Mit dem Bauen im Bestand ist es immer so eine Sache. Manchmal tritt unverhofft das Werk eines kunstfertigen Ebenisten zutage. Prunkvolle Intarsien. Fein ziselierte Ornamente. Ein schönes Terrazzo. Und manchmal entfernt man Schicht um Schicht um Schicht und findet außer Resopalfronten und Nadelfilz: nichts. Vor dieser Erfahrung sind auch renommierte Architekturbüros wie Herzog & de Meuron nicht gefeit. „Wir hatten gerade zwei wichtige Räume in der ‚Park Avenue Armory‘ in New York fertiggestellt und dachten: Was dort funktioniert, geht sicher auch hier“, sagt Ascan Mergenthaler. Doch als der Architekt im Basler Volkshaus auf Spurensuche ging, fand er keinen Boden, keine Struktur, keine Substanz. „Alles ausradiert.“
Dafür schlummerte unter der Fassade des alten Gebäudeensembles etwas anderes: eine Seele. Die Grundfesten des Volkshauses stammen aus dem 14. Jahrhundert, eine Burgvogtei. 1845 wurde auf dem Areal eine Brauerei samt Gastwirtschaft gebaut, später eine Konzerthalle. 1925 entwarf der Architekt Henri Baur im Auftrag der Stadt einen stattlichen Neubau samt Veranstaltungssälen, Büros, Ladengeschäften, Restaurant und Biergarten. „Es war tatsächlich ein Haus des Volkes. Sehr offen, sehr vielseitig“, sagt Mergenthaler. Er hatte das brachliegende Juwel 1993 entdeckt, als er für ein Praktikum bei Herzog & de Meuron nach Basel zog. In den Siebzigerjahren waren hier Büros eingezogen, die das Haus derart entstellten, dass sie sich in Basel irgendwann fragten, ob man das Volkshaus nicht einfach abreißen sollte.
Ob es Glück oder doch Verstand war, dass sie es nicht taten, ist nicht überliefert. Klar ist nur: 2011 kaufen die Unternehmer Adrian Hagenbach und Leopold Weinberg das Volkshaus und betrauen Herzog & de Meuron damit, an die Geschichte anzuknüpfen. Ascan Mergenthaler, der mittlerweile Seniorpartner des Büros ist und als solcher die Umsetzung von Elbphilharmonie, Tate Modern und Neuer Nationalgalerie betreute, leitet das Projekt.
Zuerst waren Veranstaltungssäle, Brasserie und Bar an der Reihe, die schon 2012 eröffneten. Nun steht auch das Hotel: Die 45 Zimmer und Suiten sind von fast protestantischer Schlichtheit; eine Hommage an die früheren Unterkünfte des Personals. Die ehemaligen Büroräume sind dabei aber auch großzügiger, als man es von neuen Hotels gewöhnt ist. Der Gast betritt das Zimmer durch eine Schrankwand aus schwarz gebeizter Eiche, in der sich Dusche und WC verstecken. Der offene Waschtisch, bis heute in vielen traditionellen Schweizer Häusern üblich, wird durch einen Vorhang vom Schlafraum abgetrennt.
Statt zeitgenössischer Möbel oder historisierender Klassiker schufen die Architekten eigenständige Entwürfe, die sich nicht anbiedern und überhaupt zunächst kaum einordnen lassen. „Es ging darum, den Geist des Hauses zurückzubringen, ohne mit direkten Zitaten zu arbeiten oder etwas zu rekonstruieren – es war ja ohnehin nichts mehr da“, sagt Mergenthaler. Obwohl, doch: die charakterstarken Fenster. Sie waren als Einziges erhalten geblieben und wurden akribisch aufgearbeitet.
Mit seinen sanften Grün- und Grautönen ist das „Volkshaus Hotel“ ein Kokon der Geborgenheit, der geschichtsbewusst, aber nicht traditionell daherkommt. So bespielt etwa die Galerie von Bartha die Lobby regelmäßig mit frischer Kunst. Wenn die Stadt eines Tages aus ihrer pandemiebedingten Lethargie erwacht, wird sie einen Ort vorfinden, der Kleinbasel mit neuem Leben füllt. Mit ihrer stilvollen Neugestaltung haben die Architekten und Betreiber ihrer Heimatstadt ein Geschenk überlassen: Sie haben aus dem Volkshaus wieder ein Haus fürs Volk gemacht.
Text: Florian Siebeck